Die 20. internationalen Wiehler Jazztage starteten mit einer wahrhaftigen Geburtstagsparty. Blues- und World-Musik vom Feinsten mit zwei absolut unterschiedlichen Bands, die aber das Publikum beide auf ihre spezielle Art vereinnahmten und begeisterten.
Zur Begrüßung fanden sich Gründungsvorsitzender Rüdiger Boy, sein Nachfolger Wolfgang Mehren und der amtierende Vorsitzende des Wiehler Kulturkreises Dr. Erwin Kampf auf der Bühne ein und zogen ein kleines Resümee. Bürgermeister Werner Becker-Blonigen zeigte sich Stolz darüber, dass aus den erwarteten höchstens drei Jahren für die Wiehler Jazztage nunmehr 20 Jahre geworden sind. Aber das habe einen ganz besonderen Grund, denn Musik verbindet Menschen, erfreut und begeistert. Für den Auftakt hatte er selbst für die „17 Hippies“ plädiert und war begeistert, dass dies auch nun geklappt hatte.
Zuerst verarzteten jedoch die Doktoren – „Dr. Mablues & the detail horns“ – das Jazztage-Publikum. Mit einem heftigen Blues-Einstieg war das Publikum bei „Get ready“ sofort bereit für diese Partyband. Sänger Gaz nahm es als eine besondere Ehre, beim zwanzigsten Geburtstag der Wiehler Jazztage als erste Gruppe spielen zu dürfen – auch beim zehnjährigen Jubiläum waren sie schon dabei. Aber er betonte, dass die Band selbst schon 23 Jahre existiere. Den positiven Kommentar seines Vorredners – Bürgermeister Werner Becker-Blonigen – hatte Gaz ein bisschen kritisch gesehen, aber schließlich musste auch er bestätigten und wiederholen: „Ihr seid ein sachkundiges Publikum“.
Die neun Schwaben kamen diesmal zu acht, da Saxophonist Michael S. Forstner erkrankt war, doch waren sie nicht minder mitreißend, denn der Doktor hatte wilde Bläser und den Blues, er hatte Soul und Seele. Die Musiker vom Bläsersatz gaben kräftig Schub, die Rhythmusgruppe groovte, die Gitarren kratzten heftig und gemeinsam verbreiteten sie gute Laune. Ob mit dem Stück „It serves me right to suffer“ für Orchester und Schlagwerk oder dem Joe Jackson Klassiker „Is she really going out with him“ als A-capella-Stück – sie haben einfach Klasse! Selbst den zeitgleich laufenden Eurovison-Song-Contest bauten sie in ihr Konzert mit „Hallelujah“, dem Gewinnersong von 1980, ein, allerdings nur die ersten Takte und dann gingen sie zu ihrer eigenen Hallelujah-Variante über. Die scheinbar grenzenlose Bandpower, die Bühnenshow, mit genialen Songs und professioneller Comedy, begeisterte die Gäste in der Wiehltalhalle.
Gaz ist „the voice“ und Songwriter, Arrangeur und greift auch zur Gitarre. Martin Hofpower ist der „Mördschändaiser“ der Band bei den Doktoren und der wahrhaftige “Guitarman“. Der Einzige, der das was er zum Besten gibt, studiert hat, ist Drummer Thommy K.. Er hat das richtige Feeling für Tempo, Beat und Drive. Bei “The Trombone-Player“ J.R. Bloody Lips ist es immer wieder spannend anzusehen, wie er seine Posaune „zügelt“. Zudem hatte er wie immer seine unverkennbare Kuh-Hose an. “Mr Henry Henry“, der Drei-Ventiler, unterstützt das Ganze mit Trompete, Stimme und Slapstick. Boris Hartmann “Mr. Bo-Bo“ ist “One of the Saxiest“. Der Mann am Klavier – Steff Illing – spendet auch noch Töne aus der Orgel (Holz) und legt Wert darauf, dass es keine Hammond ist.
Mit Stücken wie „How do you feel“ oder das von “Mr. Henry Henry“ grandios vorgetragene „300 Pounds“ therapierten diese Musikdoktoren nicht nur die Boogie- und Soul-Bedürftigen. Mit „Hey Mama“ entließen das Party-Publikum in den zweiten Teil der “Blues & World Party“. Gab es vorher viel Blues, kam nun die World-Musik zum Tragen, denn die “17 Hippies“ haben Melodien und Rhythmen der ganzen Welt im Gepäck. Seit 15 Jahren existiert die Berliner Band mit den 13 Musikerinnen und Musikern. Ihren typischen Sound produzieren sie auf einer rhythmischen Basis aus Kontrabass, Banjo, Ukulele und Gitarre. Darüber legt sich ein Melodiengeflecht aus Geigen, Violoncello, Akkordeon, Klarinette, Trompete und Posaune.
Der wilde Mix aus Folklore, Pop, Balkan-Klängen, schottischen Sumpftiraden und texanischen Two-Steps wird mit allem, was eben so nötig ist, direkt in Kopf und Hüften des Publikums transportiert. Dabei entsteht der spezielle „17 Hippies“-Sound, der Ungewöhnliches so beschwingt und leicht herüberbringt. Jedes Stück wird inszeniert, die Musiker stellen sich immer wieder auf der Bühne um, jeder wird mal zum Mittelpunkt. So zieht Henry Notroff einen Ton auf der Klarinette in fast endlose Länge, Kerstin Kaernbach lässt die höchsten Töne auf der Violine erklingen, Lüül nutzt sogar zu „Bourée Dite“ sein Banjo als Schlaginstrument. Es ist eine Wonne den authentischen Musikern zuzusehen und zuzuhören.
Gleich als zweites Stück präsentieren sie „Kaukapol“, bei dem rumänische Klänge auf akustischen Krautrock treffen. Zwei Melodien, zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie fließen so unmerklich ineinander, dass sie sich als Gesamtes fast wie Neue Musik mit Groove anhören. Mit „Uz“ haben die Hippies auch hessische Mundart im Gepäck, die sich offensichtlich fantastisch dazu eignet, ein rasantes Cajun-Scat-Speed-Stück mit türkischem Rhythmus noch mehr einzuheizen.
Gitarrist und Sänger Dirk Trageser begeisterte nicht nur mit seinem Gesang bei „Atchafalaya“ sondern auch mit seiner Vorliebe des Wildschweinefütterns im Wiehler Wildpark, den die 13 Musikerinnen und Musiker besucht hatten. Eine der ersten Ausflüge von Sänger, Ukulele- und Bouzouki-Spieler Christopher Blenkinsop, als er mit seinen Eltern in den 70er Jahren aus Asien kam, führte ihn in die Wiehler Tropfsteinhöhle. Blenkinsop fungierte bei der Party zeitweise auch als Dirigent des Ensembles und des Publikums, das bereitwillig sein „Tick, tack“ aufnahm.
Gitarren, Bläser und Streicher gaben die mexikanischen Farben zu dem Song „Atchafalaya“, der bewusst mit einem Hauch von Schlagerattitüde schlaflose Nächte am Fluss Atchafalaya besingt. Den besonderen Hauch von Melancholie legte Sängerin und Akkordeonspielerin Kiki Sauer in „Adieu“, die immer wieder besondere Glanzpunkte im Konzert setzte. Jedes Stück der “17 Hippies“ ein Wechselbad der Fröhlichkeit und Traurigkeit, des ausschweifenden Feierns und der nachdenklichen Melancholie. Mal mehr, mal weniger. Aber immer wieder besonders, so wie bei „El Dorado“ – eine swingend leichte Rumba, die pures Glück verspricht – oder dem mitreißenden „Hoyaka“ als letzte Zugabe, dass zu Klatschtiraden und Tanzeinlagen verführte.
Ob ihre Einflüsse Musik vom Balkan, amerikanischer Rock, britischer Pop oder Filmmusik sind – ihre eigenen Kompositionen und raffinierten Arrangements sind mehr als die Summe aller erklärbaren Komponenten. Die “17 Hippies“ bestechen durch Energie und auf den Punkt gebrachtes Zusammenspiel – und letztendlich ist es doch ganz einfach Tanzmusik. Genau richtig für so eine “Blues & World Party“ – genau richtig für den Start der 20. internationalen Wiehler Jazztage.
Vera Marzinski
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Fotos: Christian Melzer
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