„12 Leben aus Wiehl“: Zeitzeugen erzählen

Zwölf Zeitzeugen aus Wiehl erzählen im Rahmen einer Ausstellung des Diakoniewerkes Bethel in der Wiehler Volksbank Oberberg über ihr Leben.

Foto: Christian Melzer

„Diesen Mann, den haut nichts um.“ Gemeint ist Rolf-Otto Deubel. Er stand 16 Jahre im Handball-Tor, pflegte 14 lange Jahre seine an Multiple Sklerose erkrankte Frau. 2010 muss ihm ein Bein amputiert werden. Der sportliche Hühne lernt nun wieder das Laufen und hat seinen Humor nicht verloren: „Lieber mit einem Bein mitten im Leben, als mit beiden auf dem Friedhof.“

Deubel ist eines von „12 Leben“ aus Wiehl, die als Zeitzeugen aus der Region erzählen und ihre Biographie im Rahmen einer Ausstellung des Diakoniewerkes Bethel in der Wiehler Volksbank Oberberg veröffentlichen. Am Eröffnungsabend erzählt Deubel aber nichts von seinem schweren Leben. „Ich versuche Ungereimtheiten in Reime zu fassen“, sagt der Bewohner des Seniorenzentrums Bethel und trägt ein Gedicht vor.

Die 89jährige Margarete Malkus ist die älteste der „12 Leben“, die ein Buch aus ihrem Koffer der Erinnerungen mit dem Titel „Zeitenwende“ geschrieben hat. Sie ist schwanger als sie aus Ostpreußen flieht. In der Warteschlange zur Wilhelm Gustloff bremst sie eine unsichtbare Hand. Sie kämpft sich an Land zurück. Später hört sie, dass 9000 Menschen auf See ums Leben gekommen sind. Über Gelsenkirchen kommt sie ins oberbergische Grünenbach. Sohn Horst liest vor, dass es die Neuen hier nicht immer leicht haben. Der Weg in die Gemeinschaft führt schließlich über die Frauen.

Schwung- und Humorvoll moderiert Pastor Matthias Ekelmann (Hauptgeschäftsführer Seniorenzentrum Bethel Wiehl) den Abend im vollbesetzten Forum der Volksbank. Die zwölf Männer und Frauen ziehen die Zuhörer mit den Erzählungen aus ihrem Leben in ihren Bann. Keiner von ihnen ist unter 70 Jahre alt.

In Ihrem Buch „sieben Koffer und ein Kinderwagen“ erzählt die 71-jährige Brigitte Troeger von der harten Kindheit in einer ausgebauten Wiehler Scheune und ihren Träumen von fernen Ländern. Nach der Heirat 1966 mit dem jungen Pfarrer Eberhard folgen beide einem Ruf nach Ägypten ins deutsche Missionskrankenhaus Assuan. Zehn Jahre geht es durch Ägypten, Syrien, Jordanien, Libanon und dem Sudan. Fünf Kinder hat sie geboren. Wieder in Wiehl widmet sie sich dem Schreiben und der Musik. Sie spielt Orgel, Klavier und Harfe, auf der sie eine kleine Melodie aus Irland erklingen lässt.

„Hier sind wir zu Hause, freuen uns aber, wenn wir unsere Mundart sprechen können“, sagt Enni Janesch aus Drabenderhöhe, die sich für die Gemeinschaft von Siebenbürger Sachsen und Oberbergern engagiert. Die Pflege der Kultur und die Begegnung der Menschen sind ihr Herzensangelegenheit. Janesch ist Vorsitzende der Kreisgruppe Drabenderhöhe des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, Leiterin der Heimatstube, Mitglied im Vorstand des Adele-Zay Hilfsvereins. Sie singt über 40 Jahre im Honterus.Chor, leitet die Mundart- und Theatergruppe und war 16 Jahre Bundesfrauenreferentin der Landsmannschaft.

Von 1965 bis 1978 war Kurt Franchy Pfarrer der evangelischen Stadtkirche Bistritz im heutigen Rumänien. Seine weit verstreute Gemeinde lebte unter der Armutsgrenze. Mit Fahrrad und Pferdewagen besuchte er Kranke, pflegte Alte, predigte in fensterlosen Kirchen. Schweren Herzens wanderte er 1978 mit seiner Familie aus, engagiert sich seitdem in der Siebenbürger Sachsen-Siedlung Drabenderhöhe. Hier kann er heute mehr für seine alte Heimat tun, als vor Ort. Seine Erlebnisse als Arbeitersoldat in einem Barackenlager faszinieren die Zuhörer genau wie die Erzählungen von Schwester Hildegard Paschke, die sich als Diakonisse in den Dienst des Nächsten stellte. Die gelernte Einzelhandelskauffrau kümmert sich um die Buchhaltung in Bethlehem Tabea, weil sie aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war in der Krankenpflege zu arbeiten.

Humorvoll berichtet Dr. Dieter Fuchs (ehemaliger Wiehler Stadtdirektor, Oberkreisdirektor und Direktor des Landschaftsverbandes) aus seiner Tätigkeit als Jurist und präsentiert sich als fröhlicher Geist im trainierten Körper der „fit wie Fuchs“ ist. Allzeit bereit als Freund und Helfer, das war und ist der ehemalige Oberkommissar Emil Funk, der für eine friedliebende Welt ohne Furcht in Geborgenheit plädiert.

Jüngste in der Zwölfer-Runde ist Marie Luise Wasser, waschechte Kölnerin mit Teich in Morkepütz, die kölsche Gebote vorstellte. Eine herzerfrischende Geschichte über den Besuch von Verwandten gab Wilfried Hahn zum Besten, ein oberbergisches Urgestein und Zeit-Genosse der Region. Hahn ist „hier geboren, aufgewachsen und hängengeblieben – aber weiß Gott nicht unglücklich darüber“. Sein „Watt Platt“ Anekdotenbuch erscheint in der Oberwiehler Dorfzeitung.

Gertrud Steinmeyer engagiert sich in der Gemeinde für die Frauenhilfe. Trotz vieler Irr- und Umwege sei ihr Leben gut gewesen, meint die 84-Jährige, die sechs Kinder zur Welt brachte, in leitender Funktion im Kirchenkreisverband und der Evangelischen Frauenhilfe im Rheinland tätig war. Gerhard Schulz, der die Veranstaltung musikalisch auf seinem Klavierissimo begleitete ist mit vielseitigen Talenten ein gefragter Oldtimer. Er ist Kirchenorganist, Portrait- und Landschaftsmaler, Komponist und Liederschreiber.

Die Ausstellung ist noch bis zum 14. September in der Wiehler Volksbank zu sehen.

Ursula Schenker

Update: Aufgrund der großen Resonanz wird die Ausstellung „12 Leben“ in der Galerie der Volksbank Oberberg eG, Bahnhofstraße 3, 51674 Wiehl um eine Woche bis zum 21. September 2012 verlängert.

Die Bilderserie wird präsentiert mit freundlicher Unterstützung durch:

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Fotos: Christian Melzer

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