Zum Schluss nur noch Stehplätze – Avi Primor in der Sparkasse

Der Sparkasse gingen die Stühle aus: Avi Primor, früherer israelischer Botschafter in Deutschland, sprach über die aktuellen Aussichten eines Friedensprozesses in Nahost. Der Freundeskreises Wiehl/Jokneam und die Oberbergischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit luden dazu ein, und viele, viele kamen. Schließlich wurden sogar die Schreibtische als Sitzgelegenheit benutzt.

V. l.: Gerhard Hermann, Peter Muskolus, Bürgermeister Werner Becker-Blonigen, Avi Primor und Sparkassendirektor Manfred Bösinghaus beim Eintrag in das Goldene Buch der Stadt Wiehl. – Foto: Christian Melzer

Nach 1998 und 2002, bei dem er an dem schon denkwürdigen Wiehler Nahostforum teilgenommen hatte, stehe Primor jetzt das dritte Mal mit interessierten Wiehler Bürgern in Kontakt, wie Gerhard Hermann, Vorsitzender des Freundeskreises Wiehl/Jokneam in seiner Begrüßung bemerkte.

Manfred Bösinghaus, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse und Gastgeber der Veranstaltung, freute sich in seiner Begrüßung sehr über so viel Zuspruch und den Ehrengast. Bevor Primor dann dem großen Auditorium zur Verfügung stand, lud Bürgermeister Werner Becker-Blonigen ihn noch zu einem Eintrag in das Goldene Buch der Stadt Wiehl ein.

Ob nach dem Vortrag irgendein Zuhörer schlauer wäre als zuvor wisse er nicht, weil momentan wohl niemand genau die Frage nach der Chance eines Friedenprozesses beantworten könne. Seiner – Primors – Meinung nach sei Frieden heute mehr denn je möglich, er gehöre mit dieser Meinung allerdings im Moment zu einer Minderheit.

Dabei wäre aktuell nicht der Iran das Hauptproblem: deren Kriegsdrohungen gegen Israel seien mehr Propaganda als wirkliche Bedrohung. Frieden in Nahost bedeute zuallererst Frieden mit den arabischen Nachbarn und mit den Palästinensern.

Jahrzehnte lang seien die meisten Friedensbekundungen von allen Seiten zumeist Lippenbekenntnisse gewesen. Ein Frieden wäre nicht ernsthaft möglich gewesen.

Diese These begründete Primor mit einem Exkurs in die israelische Geschichte: Seit dem UN-Beschluss von 1947, Palästina in zwei Teile zu teilen, hätten die arabischen Nachbarn den israelischen Staat abgelehnt und in mehreren Kriegen bekämpft. Dabei sei ein Frieden aus arabischer Sicht schon deshalb nicht möglich gewesen, weil es zu dieser Zeit undenkbar war, dass es den gut organisierten arabischen Staaten nicht gelingen würde, dieses kleine, wenig entwickelte Staatsgebilde, das Israel zu Beginn war, zu besiegen.

Für Israel sei spätestens mit der Besetzung der historischen biblischen Teile Israels, insbesondere des Westjordanlandes, im Jahre 1967 ein Friede ebenfalls undenkbar geworden, denn – nachdem man sich 1947 erst einmal damit abgefunden hatte, dass diese Gebiete nicht Teil eines israelischen Staates sein würden – sei man danach nicht mehr bereit gewesen, dieses „Kernland des Judentums“ wieder aufzugeben. Erst mit dem für alle Seiten überraschenden Besuchs Sadats 1977 in Israel habe sich diese Situation wieder zu verändern begonnen. Sadat habe als erster erkannt, dass das Ziel den Staat Israel von der Landkarte zu löschen, nicht mehr erreichbar war und habe deshalb die enormen Kosten für sein Land, die dieser Kriegszustand mit sich brachte, nicht mehr tragen wollen. In dem nachfolgenden Friedensverhandlungen habe Sadat – gegen den ursprünglichen Willen der damaligen israelischen Regierung unter Begin – alle besetzten ägyptischen Gebiete zurückerhalten können, weil er das wesentliche Grundbedürfnis der israelischen Bevölkerung verstanden habe:

„Es gibt nur eine Sache, die den Israelis am Herzen liegt…“ so Primor „…und das ist nicht der Frieden, den man ja gar nicht kannte, sondern Sicherheit, denn das ist das tägliche Problem!“ Mit der Betonung der Sicherheit habe es Sadat geschafft, die nicht radikale Mehrheit der israelischen Bevölkerung zu überzeugen. Und einer entschiedenen Mehrheit in Israel könne weder eine widerspenstige Regierung noch eine andersdenkende Minderheit widerstehen. Nur mit einer entschiedenen Mehrheit der Israelis seien wirkliche Schritte im Friedensprozess möglich. Mit einer entschiedenen Mehrheit sei es möglich gewesen, israelische Siedlungen im Sinai und später im Gaza-Streifen zu räumen, trotz der Proteste der radikalen Teile innerhalb der Siedlerschaft.

Heutzutage sei die Situation anders: Obwohl eine deutliche Mehrheit der Israelis den Frieden mit den Palästinensern durchaus wünsche und auch einen Palästinenserstaat im Gaza und im Westjordanland akzeptieren würde, wäre diese Mehrheit wegen der Sorge um die Sicherheit nicht entschieden. Grund für diese Sorge sei, dass kein palästinensischer Führer den Israelis Sicherheit glaubhaft garantieren könne. Die Erfahrungen nach Räumung des Gaza-Streifens ließen die Vorstellung zu, dass auch von einem geräumten Westjordanland Raketen nach Israel fliegen könnten und damit lägen alle Zentren Israels in der Reichweite selbst der primitivsten Raketen der Hamas.

Somit – so Primor – könne der entscheidende Anstoss zu einer ernsthaften Friedenslösung nur von außen kommen: „Wenn Präsident Obama in einer Rede vor dem israelischen Parlament ernsthaft den Frieden einfordern würde und sagte „Ich übernehme die Verantwortung für Eure Sicherheit, in dem ich für eine gewisse Zeit eine kleine kämpferische amerikanische Truppe zur Gewährleistung der Sicherheit in das Westjordanland sende.“ wäre Frieden möglich!“

Ob es jemals zu einer solchen Szene in der Knesset kommen werde, sei jedoch fraglich, weil Obama – wie auch seine Vorgänger – immer auch auf die Befindlichkeiten der amerikanischen Innenpolitik Rücksicht nähme, in der es starke Kräfte gäbe, die eine zu starke Einmischung in israelische Interessen missbilligten.

Neben Amerika käme auch die Europäische Union als Protagonist in Frage. Wenn schon vermutlich nicht deutsche oder französische Truppen eine Schutzfunktion im Westjordanland übernähmen, so seien doch beispielsweise Truppen aus Marokko, Indonesien oder auch aus der Türkei durchaus denkbar. Aber Primor bezweifelte, dass Europa die Kühnheit zu einer solchen Initiative aufbrächte. In der EU sei alles nur machbar, wenn Deutschland und Frankreich sich einig seien. Und hier hänge alles von Deutschland ab: die Deutschen fühlten sich bezüglich Israel immer noch befangen und gehemmt.

Avi Primor hält diese Befangenheit für überholt. Die meisten Israelis hätten vermutlich auch kein Problem damit, wenn deutsche Soldaten sich an Aktivitäten auf palästinensischen Boden beteiligen würden. Man sähe Deutschland in Israel als gefestigte Demokratie und als Freund Europas. Aber die Deutschen wollten nicht!

Primor endet mit seinem Fazit:
Frieden in Nahost ist heute möglich Palästinenser und Israelis schaffen es nicht alleine Sie brauchen internationale Unterstützung; aber möglich ist Frieden nur, wenn jemand das wirklich will!

Die abschließende intensive Diskussion, die von Peter Muskolus, dem 2. Vorsitzenden der Oberbergischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit moderiert wurde, und in der von Primor noch viele interessante Einsichten und Einschätzungen zu hören waren, zeigte, wie sehr Avi Primor auch bei seinem dritten Besuch seine Zuhörer mitgenommen hatte. Vielen Zuhörern sprach der Wunsch Muskolos‘, dass die Ideen Primors auch an anderer Stelle Gehör finden sollten, offenbar aus dem Herzen.

Die Bilderserie wird präsentiert mit freundlicher Unterstützung durch:

Zum Vergrößern der Fotos bitte Vorschaubilder anklicken.

Fotos: Christian Melzer

Kategorien:

,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert